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Erzählen Sie!

Über den Mehrwert vom Erzählen im Fremdsprachenunterricht

Erzählen gehört zweifellos zu den Grundbedürfnissen der Menschen. Man möchte seinen Mitmenschen über Erlebnisse und Erfahrungen berichten und es tut gut, Erlebtes mit anderen zu teilen. Egal, ob es etwas Positives oder Negatives ist. Denn wir Menschen sind soziale Wesen und es liegt in unserer Natur zu kommunizieren. Erzählen ist eine der wichtigsten Kommunikationsformen und als solche spielt sie eine besondere Rolle im Fremdsprachenunterricht.

In meiner Praxis habe ich die Beobachtung gemacht, dass Fremdsprachenlernende manchmal gerne und manchmal weniger gerne erzählen und sich austauschen. Je mehr persönliche Relevanz die Themen für sie haben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit Leib und Seele erzählen. Besonders gut funktioniert es, wenn sie über ihre eigenen Erfahrungen, Erlebnisse und Geschichten berichten.

Egal in welcher Sprache erzählt wird, Erzählen hat eine identitätsstiftende Funktion. Im FSU ist Erzählen als ein Teil der Fertigkeit Sprechen einzuordnen, somit ist aber sein Potential in keinster Weise erschöpft. Gerade das biographische Erzählen bietet den Lernenden die Möglichkeit, ein ICH in der Zielsprache zu sein und die eigene Geschichte und Identität mit Hilfe dieser Sprache zu konstruieren. Auf diese Weise wird die Geschichtlichkeit des Menschen in den Fremdsprachenunterricht miteinbezogen und das kann gerade in der Unterrichtsituation ganz wichtig sein. Denn man befindet sich oft im Lernstress und muss sich viele Inhalte aneignen, während das Erzählen die Möglichkeit gibt, sich als Individuum auszudrücken und sich in einer anderen Rolle zu zeigen. Außerdem ist anzunehmen, dass die einem „Fremd“sprache als weniger „fremd“ vorkommt, wenn man mit seiner eigenen Geschichte in sie eintaucht.

Wenn Lehrende den Unterricht so konzipieren, dass dieser den Lernenden Impulse gibt, von sich erzählen zu können, so bedeutet das in meinem Verständnis, dass die Lernenden die Gelegenheit bekommen, etwas für sie Aktuelles und Bedeutsames in einer für sie aktuellen und bedeutsamen Sprache zu versprachlichen. Durch das Erzählen wird außerdem eine der wichtigsten Kommunikationsformen praktiziert und nicht zuletzt tragen diese Erzählungen zum Ausbilden der Gruppenidentität bei. Viele Fremdsprachenlehrende werden die Erfahrung gemacht haben, wie die Atmosphäre sich in der Klasse verändert, nachdem die Lernenden über ein persönlich relevantes Thema erzählt haben. Die angeregte, interessierte und gelöste Stimmung hat einen bleibenden Effekt in der Gruppe und trägt zur Entwicklung der Gruppenidentität bei. Besonders schön ist es, wenn die Gespräche in der Pause weitergeführt. Das nenne ich authentisch. Wenn die Lernenden von sich aus das Bedürfnis haben, in der Zielsprache zu kommunizieren. Für mich bedeutet es dann, dass die im Unterricht praktizierten Sprachhandlungen nicht nur einen unterrichtsinternen Wert haben, sondern auch mittelbar über die Verbesserung des Gruppenklimas die Vorbereitung auf außerunterrichtliche Sprachhandlungen fördern.

Um das Ganze auf den Punkt zu bringen, möchte ich euch ermutigen Erzählen anzuregen. Die Lernenden sind frei zu entscheiden, wieviel sie preisgeben möchten und es ist bei der Aufgabenstellung wichtig, diese Freiheit zu berücksichtigen. Erzählen bietet unzählige kreative Möglichkeiten an – tauchen Sie ein!

 

Mihaela Mihova, Deutsch- und Schwedischlektorin am Sprachenzentrum der Universität Wien

Weiterführende Literatur

Reininger, Doris (2009): „Aber biografisch, das bin ich selbst!“ Mündliches biografisches Erzählen als Unterrichtsaktivität im zweit- und fremdsprachlichen Deutschunterricht mit Erwachsenen. Innsbruck, Wien u.a.: Studienverlag (= Theorie und Praxis Bd. 13).