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Schreiben in einer Fremdsprache

Zwischen Schreiben und Lernen besteht eine enge Beziehung. Darum ist Schreiben für das Lernen wertvoll.

Schreiben und Denken

Schreiben ist ein komplexer Vorgang. In Hirn, Herz und Hand laufen vielfältige Prozesse ab. Diese werden von verschiedenen Faktoren, inneren und äußeren, beeinflusst. Dabei spielt der Schreibort eine Rolle, die Sinneseindrücke, die auf uns beim Schreiben einströmen, die Tageszeit, und auch das Schreibmedium: das sanfte Kratzen einer Feder oder die perkussive Musik einer Tastatur. Dann die körperlich-geistig-seelische Verfassung der schreibenden Person in diesem Augenblick, wie auch ihre bisherige Erfahrung mit Schreiben. Schließlich ihre Erwartung an den Text und seine Rolle in der Kommunikation mit einem Leser. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft scheinen beim Schreiben ineinander zu fließen.

Die Komplexität des Schreibprozesses wird noch gesteigert beim Schreiben in einer Fremdsprache. Bestimmte Einflussfaktoren rücken verstärkt in den Vordergrund. Unser Ringen um Strukturen, Vokabeln und Ausdrucksformen nimmt viel Raum ein. Das Schreiben wird spätestens dann zum Problem, wenn die Lehrperson, die das Produkt dieses Ringens liest, genau auf diese Wissens- und Kompetenzmängel in den Strukturen und dem Ausdrucksvermögen des Schreibers den ganzen Fokus legt. Der Lehrer ist dann nicht nur Leser, sondern auch Richter. Der Sinn des Schreibens gerät so aus dem Blick und damit die Freude an dieser unschätzbaren Kulturtechnik, die Denken und Handeln zugleich ist, auch in der Fremdsprache.

Schreiben und Lernen

Sprachlernende klagen oft darüber, wie schwer das Schreiben in der Fremdsprache ist, und alle Sprachlehrenden, die die zähen Bemühungen ihrer KursteilnehmerInnen begleiten und unterstützen, können diese Klagen nachvollziehen. Dennoch bietet das Schreiben in der Fremdsprache auch viele Chancen: Schreiben hilft beim Lernen, denn schreibend festigen wir Strukturen, Vokabeln und „Chunks“. Wir können beim Schreiben in der fremden Sprache experimentieren und Neues ausprobieren. Schreibend beschäftigen wir uns intensiv mit der Sprache.

Schreiben und der Denkprozess, der damit einhergeht, das Mühen um die Fremdsprache und darum, die eigenen Ideen in der fremden Sprache gut organisiert, klar und lesbar zu Papier zu bringen, ist ein wichtiger und wertvoller Teil des Lernprozesses. Damit dies gelingt, ist es wichtig, das Schreiben in andere Aktivitäten einzubinden: sprechen und zuhören, Ideen entwickeln, mit KollegInnen im Kurs diskutieren, strukturieren, ausarbeiten. Input in Form von Texten, die das Thema von möglichst unterschiedlichen Seiten beleuchten, ebenso Film- und Tonmaterial, Bilder, Exkursionen, Interviews. Verschiedenste Kanäle können einbezogen werden, um Denk- und Schreibprozesse anzustoßen und ins Fließen zu bringen.

Gemeinsam schreiben

Schreiben im Kurs muss keine stumme, einsame Tätigkeit sein, sondern kann ein kommunikativer, lebendiger Fluss von abwechslungsreichen Übungsformen sein, die der Textproduktion vorausgehen und sie begleiten. Die Lernenden bearbeiten das Thema kooperativ und erstellen gemeinsam und unterstützt von der Kursleitung einen Fundus an Ideen, Redemitteln und relevantem Wortschatz.

So können LehrerInnen und LernerInnen das Schreiben aus der Einseitigkeit des einsamen Tuns herausholen, zu einem sinnlichen Prozess machen und auch zu einem sinnvolleren Tun. Denn nicht nur Grammatik, Syntax, Wortwahl allein stehen im Vordergrund. Es geht vielmehr um Inhalte.
Auch die Frage, für welche Zielgruppe der Text bestimmt sein könnte, ist eine Diskussion wert. Selbst wenn wir uns im Setting eines Sprachkurses und nicht in einer realen Kommunikationssituation befinden, können die Fragen „Wer könnte meinen Text lesen?", „Für wen will ich schreiben?“ die Motivation positiv beeinflussen. Im einen oder anderen Fall kann die Grenze zur Realität von einem engagierten Kurs überschritten werden: ein Leserbrief an eine Zeitungsredaktion oder ein Beitrag in einem Internetforum werden plötzlich Wirklichkeit.

Viel ist möglich, wenn Ideen und Tinte einmal fließen.

 

Dipl.Ing. Manuela Becker, Deutschlehrende am Sprachenzentrum und Schreibtrainerin