verfasst und vorgelesen von:
Wir alle kennen diesen Augenblick. Den Augenblick, in dem du an einem Ort stehst und ganz genau weißt, dass du hier hingehörst.
Du magst von diesem Moment geträumt haben, magst ihn dir ewig vorgestellt haben, aber genau jetzt fühlt es sich so an wie du es dir niemals hättest erträumen können. Ich stand da. Auf der Piazza Navona in Rom, ließ mir von der Sonne die Nase kitzeln und strahlte mein Eis an, das ich mir redlich verdient hatte.
Und das kam so: weil ich noch zu jenen Fossilien gehöre, für die Italienisch als Wahlpflichtfach in der Schule nicht angeboten wurde, beschloss ich an einem grauen Septembertag, als mein Freund neben mir die Badewanne putzte und ich die Regentropfen von außen gegen das Fenster prasseln sah, dass es Zeit war. „Hmmm“, war seine mittelmäßig begeisterte Antwort, als ich auf den Anmeldebutton des A1/1- Italienischkurses am Sprachenzentrum klickte. Ja, ich würde endlich Italienisch lernen! In Filmen waren die italienischen Frauen immer die temperamentvollsten, die schönsten, jene, von denen sich jede gewünscht hätte, so zu sein wie sie. Die italienischen Männer waren die aufregendsten, die ich mir vorstellen konnte und die Lieder aus dem Süden klangen so unfassbar sehnsüchtig und wahr und wundervoll in meinen Ohren, dass ich in ihrer Bedeutung verging, obwohl ich nicht verstand, was gesungen wurde.
Mit „Arrivederci Roma“ im Ohr schlenderte ich den Weg zu meinem ersten Kurs. Natürlich war ich zu Beginn sehr enttäuscht davon, dass es mehr um die Aussprache ging als darum, jemandem sofort seine Liebe zu erklären. Ich seufzte und sah einem Mitstudenten dabei zu, wie sich seine Zunge um das Wort „gnocchi“ wand. Seine Stirn war in Falten gelegt und trotz seiner Anstrengungen kam irgendetwas aus seinem Mund, das lautlich zwischen Husten und Niesen einzuordnen war. Unsere Italienischlehrerin, eine dieser unermüdlich positiven Frauen aus dem Süden, lachte und meinte, das sei ganz natürlich, im Norden den Laut „chi“ nicht als „ki“ aussprechen zu können. Dasselbe passierte immer wieder mit „zucchi“ und „pistacchio“ und wir sollten uns einfach Zeit zum Üben lassen. Ich übte. Und ich reiste.
Eines Tages führte mich meine Reise in die Ewige Stadt, die ich schon immer hatte sehen wollen. Das Studium lag hinter mir, meine Beziehung ebenso und ich war bereit. Rom lag vor mir und verzauberte mich. Die alten Wände atmeten eine Geschichte, die schon ewig angedauert hatte und alle diese Paläste würden noch lange hier stehen, wenn ich fort sein würde. Wenn der Regen kam, spülte er die Hitze des Tages zwischen die Pflastersteine, ergoss sich in die Adern der Stadt, ließ das Wasser der Brunnen auf den verborgenen Plätzen anschwellen.
An einem Abend hatte ich meinen Schirm vergessen und die Regentropfen perlten an meiner Haut ab. Aber zum ersten Mal in meinem Leben schützte ich mich nicht vor dem Wasser, das aus dem Himmel flutete. Ich atmete tief aus und ein und wusste, dass ich keine Schriftstellerin würde sein können, wenn ich nicht erfahren hatte, wie sich der Regen in einer Frühlingsnacht anfühlte. Also drehte ich in der kleinen Seitengasse, die zur Piazza Navona führte, ein paar Pirouetten, wobei mich einer der Kellner amüsiert musterte wie ich dort schwerelos durch den Regen tanzte.
Am nächsten Tag war das Unwetter vorbei und ich beschloss, mir schnell um die Ecke eine Pizzaschnitte zu holen. Während ich in den mandelbraunen Augen des Verkäufers versank, sprach mich jemand an: „Ciao.“ „Ciao“, erwiderte ich höflich und er fuhr fort, mich zu fragen, ob ich heute Abend mit seinem Kumpel und ihm ausgehen würde. „Nein“, entgegnete ich, „ich arbeite heute lange. Aber danke.“ Er fuhr fort, mich zu fragen, woher ich sei und was ich arbeitete. Und irgendwann, nachdem ich nochmals höflich abgelehnt hatte, sagte er „Na gut, aber ich lade dich auf ein Eis ein. Jetzt?“ Ich lachte und willigte ein (Gut, bei Eis kann ich nicht widerstehen. Punto.).
Wir, sein Kumpel, er und ich, betraten das kleine Eisgeschäft und er sagte: „Bella, du kriegst nur ein Eis von mir, wenn du es für uns alle richtig bestellst.“ Und er lächelte dieses charmante Lächeln, das mich schlicht umwarf. Ich blickte auf das Eis in der Vitrine. Ein klein wenig spiegelte ich mich darin in meinem bunten Kleid. Und plötzlich erkannte ich, dass ich ebenso aussah wie eine dieser Italienerinnen, von denen ich geträumt hatte – temperamentvoll, schön, mutig. „Kein Problem“, erwiderte ich lachend und liebte es wie seine sonnengebräunte Hand nach meinem Ellenbogen griff: „Dann such dir etwas aus.“ Ich blickte auf Erdbeere hinab und hatte sofort den Duft meiner Lieblingsfrucht in der Nase. „Fragola“, flüsterte ich mehr zu mir selbst, rollte das „r“ wie die köstlichste Herausforderung, der meine Zunge jemals gewachsen war, formte die Lippen um das „o“ als könnte ich die Creme schon schmecken und endete mit einem offenen, hellen „a“, das alle Seufzer der Vorfreude in sich barg. Dann wählte ich „zabaione“, weil ich nicht widerstehen konnte, dass das „z“ wie „s“ ausgesprochen wurde und ich hatte diese Nachspeise erst wenige Abende zuvor in einem Fischrestaurant mit Freunden bestellt, wobei sie uns vor unseren Augen zubereitet wurde, als die Creme mit einem Schuss Amaretto verfeinert wurde – nur einen Hauch von Mandeln, beinahe nicht zu erahnen, süß und bitter zugleich, köstlich in seinem inneren Widerspruch. Und ich wählte „pistacchio“, denn ich konnte nicht widerstehen.
Und er hob den Zeigefinger neben mir, spielte mit seiner Sonnenbrille, als er meine Lippen beobachtete, ob ich der Herausforderung des „chi“ gewachsen war. Eine Sekunde lang dachte ich an den Mitstudenten meines Kurses; hoffte, ich würde nicht aussehen, als hätte ich mich an einer Ladung Gummibärchen verschluckt und sprach das magische Wort der grünen Steinfrucht aus. Die beiden um mich jubelten und ich klatschte begeistert in die Hände ehe ich mein Eis entgegennahm.
Was irgendwann mit meinem ersten Kurstag im vernebelten Oktober begonnen hatte, hatte zu diesem umwerfenden Gefühl geführt und zu der Köstlichkeit, auf deren Spitze die grüne Kugel Pistazieneis thronte, um mir zu versichern, dass ich sie mir verdient hatte. Er bezahlte das Eis, ich verabschiedete mich höflich, setzte meine Sonnenbrille auf und winkte ihm zum Abschied zu.
Dann schlenderte ich über die Piazza Navona zurück. Zur Arbeit kam ich an diesem Tag zu spät, das wird in Rom allerdings nicht so eng gesehen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Eva Mühlbacher
Geschichte-Doktorandin und Jungautorin
Eva hat am Sprachenzentrum Italienisch gelernt und während eines Italienaufenthaltes angefangen, ein Buch zu schreiben. Ihre große Leidenschaft gilt - neben dem Schreiben - dem Mixen von Bahama Mama-Cocktails.
Wir haben sie und ihr Buch kürzlich in einem Interview vorgestellt und freuen uns darüber, dass Eva von nun an regelmäßig für unseren Blog schreiben wird.
ITALIENISCH gibt es bei uns aktuell als Wiederholungs- und Vertiefungskurs online:
Quick18/16-Onlinekurs