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Wege suchen auf Mallorca

Der Weg ist das Ziel. Im Leben genauso wie auf Reisen.

Im 3. Teil der Blogserie "Schatzkästlein der reisenden Germanistin" berichtet Eva Mühlbacher über die Höhen und Tiefen einer Reise ohne Navigationsapp.

Mallorca - Blog und Podcast

(c) Pixabay

Podcast

verfasst und vorgelesen von:

Eva Mühlbacher

In diesem Urlaub ging es vor allem anderen darum, den richtigen Weg zu finden. Manchmal befindet man sich im Leben an einem Scheideweg. Und der einzige Ausweg aus diesem Dilemma ist manchmal, zu reisen und mehrere Kilometer zwischen sich und seine Probleme zu bekommen, um das Ganze aus einer anderen Perspektive sehen zu können. Genau das tat ich. Es begann also alles mit der Frage, wohin es gehen sollte: im Leben wie im Sommer. Irgendwann an einem Jännerabend blieben meine Freundin Julia und ich Ewigkeiten in einem kleinen Pub sitzen. Unsere Augen glänzten und unsere Blicke wurden trüb, als wir die Finger auf eine Landkarte niedersausen ließen. „Hier“, sagte ich. „Hier“, antwortete sie und wir prosteten uns siegesgewiss zu.

Das „Hier“ war die Baleareninsel Mallorca. Nach einem kleinen Abstecher auf den Ballermann, der wahrlich eine Attraktion für sich war, liehen wir ein Auto, um den wilden, ungezähmten Blütenreichtum der wunderschönen Insel zu erkunden. Unser Auto war auf Touristen angepasst. Wir nannten ihn Despacito, weil er nicht über 100km/h fahren konnte. Schon als wir unseren kleinen Despacito um die erste Kurve gelenkt hatten, holte Julia ihr Handy aus der Tasche und übergab es mir mit den Worten: „Kannst du uns mal navigieren?“ Lächelnd legte ich das Handy ins Handschuhfach. „Ich navigiere so wie man ein Land bereist: mit einer Landkarte“, sagte ich selbstsicher. Meine Freundin legte die Stirn in Falten. Aber sie bekam hier eine meiner tiefsten Überzeugungen mit: Handy aus im Urlaub. Ich öffnete das Fenster und faltete die Landkarte auseinander. Der Fahrtwind ergriff das rechte obere Eck der Karte und kräuselte es in der warmen Sommerluft. Ich atmete tief ein und fühlte die unendliche Freiheit, nicht den optimalen Weg im optimalen Zeitfenster finden zu müssen.

Es kam daher auch, wie es kommen musste: wir verirrten uns. Irgendwann ließ ich die Landkarte sinken und versuchte, Julia auf den traumhaft schönen blauen Himmel aufmerksam zu machen. Sie murmelte etwas, bog dann auf den Weg zu einem kleinen Bergdorf ab und hielt vor einer kleiner Bar.

Wir traten in die angenehme Kühle des abgedunkelten Raumes. In der Ecke saß eine Gruppe alter Männer, die Karten spielte. Ein junges Paar war nahe der Theke in eine hitzige Diskussion verstrickt. Der junge Barkeeper lächelte uns höflich an. Julia, die Spanisch sprach, fragte nach dem Weg. Er lehnte sich an die Theke und zwinkerte ihr erstmal zu. Seine ganze Haltung verriet, dass er auf keinen Fall Hektik in seinem Lokal duldete. Mit einem Lächeln wies er uns die Holzbarhocker, auf denen wir uns niederließen. Er hob einen Zeigefinger. Wie ein Zauberer machte er einige ausladende Handbewegungen und wies dann auf seinen kostbarsten Schatz: eine große Kaffeemaschine, die hinter ihm stand. Sie war nicht mehr ganz taufrisch, aber wirklich ein wunderschönes Exemplar. Die paar Worte, die ich verstand, handelten davon, dass dieses Prachtstück schon seinem Großvater gehört hatte. Als ob er uns ihre Außergewöhnlichkeit beweisen wollte, machte er Kaffee. Meine Freundin verwickelte ihn in ein Gespräch. Während ich die ungeordneten Spirituosenflaschen an der Barwand betrachtete, schnappte ich Wörter wie verano und la mar auf, aber natürlich lenkte er geschickt immer wieder das Gespräch auf el café. Seine Zunge überschlug sich förmlich beim Sprechen. Sein Redeschwall wurde nur durch Julias Lachen unterbrochen, in deren Gesicht etwas aufzublühen begann. Schließlich aber, als der tiefschwarze Kaffee heiß vor uns dampfte, fragten wir noch einmal nach dem Weg. El camino, sagte meine Freundin und setzte die kleine Kaffeetasse an den Mund. Er schien den Atem anzuhalten, wartete, bis die dunkle Flüssigkeit an ihren Lippen angelangt war und sah dann zu, wie sie für eine Sekunde die Augen schloss, weil der herbe und doch weiche Geschmack ihre Sinne ganz erreichte. Er lächelte abermals, weil die Kaffeemaschine ein weiteres Mal den Beweis ihres Könnens geliefert hatte.

Erst, als sie ihn über die Tasse hinweg anstrahlte und ihm dankte, beschrieb er uns den Weg. Dabei kam immer wieder ein Wort vor: cabra, Ziege. Ich runzelte die Stirn, als Julia mir das Wort übersetzte. Was hatten Ziegen damit zu tun? „Watch the goats!“, sagte er dann noch einmal auf Englisch wie um sicherzugehen, dass wir ihn wirklich verstanden hatten.

Wir nickten, dankten ihm und machten uns auf den Weg. Seine Beschreibung führte uns an eine Weggabelung. Wir seufzten. Wir würden unser Ziel wohl nie erreichen. Ich war für den linken Weg, Julia für rechts und wir begannen ein wenig zu streiten. Dann aber schnappte ich nach Luft. Julia folgte meinem ausgestreckten Zeigefinger. Mitten auf dem Weg stand: eine Ziege. „¡Hola, chica!“, riefen wir ihr zu und starteten den Wagen. Der steile Bergweg führte uns an weidenden Ziegen vorbei, die friedlich in der Abendsonne standen. Wir bogen um eine letzte Ecke, den Sommerhit Despacito auf den Lippen. Und waren angekommen.


Eva Mühlbacher

Geschichte-Doktorandin und Jungautorin

Eva hat am Sprachenzentrum Italienisch gelernt und während eines Italienaufenthaltes angefangen, ein Buch zu schreiben. Ihre große Leidenschaft gilt - neben dem Schreiben - dem Mixen von Bahama Mama-Cocktails.

 

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