Aller Anfang ist schwer. Durch meinen Studienkollegen war ich zwar schon vor dem ersten Kurs in der Lage, das Fingeralphabet und (sehr mechanisch) auch einfache Worte zu gebärden, der „professionelle“ Einstieg durch den Gebärdensprachunterricht war allerdings dennoch herausfordernd. So dauerte es bspw. einige Zeit, bis es sich nicht mehr lächerlich anfühlte, den Gebärden die entsprechende Mimik und Gestik zu verleihen. Es ist nämlich gar nicht so einfach, das was man als lautsprachige Person (meist unbewusst) durch die Art des Sprechens, also durch die Höhe oder Tiefe der Stimme, unterschiedliche Betonung oder Lautstärke vermittelt, durch Gesichtsausdrücke und Körpersprache zu ersetzen. Auch die deutsche Grammatik musste ich mir, zumindest für die Dauer des Kurses, abgewöhnen, was mit meiner anfänglichen Angewohnheit, die Gebärden in Deutsch mitzusprechen, inkompatibel war. In Gebärdensprache heißt es übersetzt z. B. nicht „Ich habe gestern einen Gebärdensparchkurs besucht“, sondern „Ich gestern Gebärdensprachkurs besuchen.“ Nach zwei Jahren (in meinem Fall nach vier regulären Semesterkursen, einem Februar-Intensivkurs und ein bisschen Üben) ist das mit der Mimik nicht mehr so schlimm und auch die ungewohnte Grammatik fühlt sich nicht mehr falsch an.
Gehörlosenkultur. Die Gebärdensprachkurse am Sprachenzentrum der Universität Wien werden von engagierten, gehörlosen LehrerInnen geleitet, die auch darum bemüht sind, ihren SchülerInnen die Gehörlosenkultur sowie die Geschichte der Gebärdensprache näherzubringen. Hier ein paar zentrale Facts: Gebärdensprachen sind eigene Sprachen mit eigenen Regeln und eigener Geschichte. Das bedeutet, Gebärdensprachen haben sich, wie Lautsprachen, regional entwickelt. Es gibt daher eine österreichische, eine deutsche, eine englische Gebärdensprache usw. und innerhalb der einzelnen Gebärdensprachen gibt es unterschiedliche Dialekte, also z. B. wienerisch, steirisch oder tirolerisch. Es gibt keine international einheitliche Gebärdensprache (im Sinne einer Muttersprache). Um sich auf Kongressen und weiteren internationalen Treffen dennoch verständigen zu können, wird u. a. „International Sign“ verwendet, eine von der Gehörlosencommunity entwickelte Gebärdenvariante, die aus verschiedenen Gebärden unterschiedlicher Länder besteht. ÖGS ist für mich also eine Fremdsprache im eigenen Land. Umgekehrt ist für viele gehörlose Personen in Österreich ÖGS die Muttersprache und Deutsch eine weitere Sprache, die dazugelernt wird. Die Österreichische Gebärdensprache wird übrigens erst seit 2005 auch im Bundes-Verfassungsgesetz als eigenständige Sprache anerkannt und Gehörlosenvereine setzen sich bis heute aktiv u. a. für die Einführung eines bilingualen Lehrplans mit Österreichischer Gebärdensprache als Unterrichtssprache ein. Wichtig ist: „Gehörlose Menschen sehen sich einer hörenden Welt gegenüber, in der es zahlreiche Hürden für sie gibt. Nicht das Nicht-Hören ist das Problem, sondern die Barrieren“ (ÖGLB).
Anwendung. Kennt man privat gehörlose oder schwerhörige Personen, die gebärden, hat sich die Frage nach der Anwendung erübrigt. Viele KurskollegInnen aber (meistens sind es übrigens Frauen, die Gebärdensprachkurse besuchen) üben Sozialberufe aus und können das Erlernte auch in ihrem Berufsalltag anwenden. Ich persönlich nutze meine Gebärdensprachkenntnisse in allen Situationen mit gehörlosen und schwerhörigen FreundInnen und Bekannten, aber auch mit hörenden Personen, die Gebärdensprache beherrschen. In einigen Situationen ist es nämlich einfach praktischer zu gebärden, als zu sprechen. Z. B. wenn es irgendwo sehr laut ist, oder wenn man nicht über den Gang schreien will. Eine Freundin, die ich im Rahmen der Gebärdensprachkurse kennengelernt habe, hat mir nach etwa einem Jahr mitgeteilt, dass sie lieber gebärdet als spricht, weil sie manchmal stottert. Da wir immer gebärdeten, wusste ich davon gar nichts. Durch Gebärdensprache können also auch perfekt hörende Menschen Barrieren überwinden.
Meine Empfehlung. Ich empfehle allen Personen, die sich für die ÖGS interessieren, Gebärdensprachkurse am Sprachenzentrum zu besuchen. Sie sind zwar etwas teurer, als die Kurse anderer Einrichtungen, allerdings ist das Unterrichts- und Anforderungsniveau sehr hoch und als SchülerIn macht man recht bald Fortschritte. Für Studierende und MitarbeiterInnen der Universität Wien gibt es übrigens einen Rabatt. Wichtig ist, wie bei jeder neuen Sprache die man lernt, v. a. die Anwendung. Daher kann nur nahelegen, auch Veranstaltungen, Vorträge oder den (fast) wöchentlich stattfindenden ÖGS-Stammtisch zu besuchen und sich mit anderen gebärdensprachigen Personen auszutauschen. Näheres dazu erfährt ihr aber im Kurs! Viel Spaß!
Helga Reichert, ÖGS-Schülerin am Sprachenzentrum der Universität Wien