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Vom Stehen zum Rennen

BLOG und PODCAST von und mit Eva Mühlbacher:

Endlich dürfen wir wieder ohne schlechtes Gewissen hinaus!

Im 2. Teil der Blogserie "Von Pferden, die auf Zehenspitzen zu Apfelbäumen tänzeln" geht es daher um die verschiedenen Varianten von Stehen und Gehen in der deutschen Sprache.

Text als Podcast

verfasst und vorgelesen von:

EVA MÜHLBACHER


Der Stillstand. Dieses Wort ist in den letzten Tagen und Wochen durch die Medien gegeistert. Was bedeutet es? „Still stehen“ heißt, dass man sich nicht bewegt. Wenn eine ganze Stadt stillsteht (oder ein ganzes Land) bedeutet das selten etwas Positives.

„Stehen“ bedeutet, dass ich an einem Ort bin und mich nicht bewege. „Ich stehe an der Haltestelle und warte auf den Bus.“ Das Wort kann aber auch auf Dinge zutreffen. Ein Zug etwa kann in einem Tunnel stehen.

Für „stehen“ brauche ich ein Subjekt: „Ich stehe“ und das kann ich dann mit einem Ort oder mit einer Zeitspanne ergänzen: „Ich stehe schon lange hier.“

Es gibt einen Unterschied zum Verb „stellen“. Bei „stellen“ brauche ich zusätzlich ein Akkusativobjekt. „Ich stelle das Glas ab.“ oder „Ich stelle die Schachfigur auf das Brett.“. In diesem Fall ist „Ich“ das Subjekt und „die Schachfigur“ das Akkusativobjekt. Das Ganze kann ich auch im Passiv sagen: „Die Schachfigur wird von mir auf das Brett gestellt.“ „Stellen“ kann aber auch reflexiv gebraucht werden und eine Bewegung angeben: „Ich stelle mich an die Bushaltestelle.“ Dann ist klar, dass ich vorher noch nicht dort gestanden bin. Ich kann sagen: „Ich stelle die Schachfigur hin.“ Dann „steht die Schachfigur auf dem Brett“. „Stellen“ deutet also eine Bewegung an, „stehen“ dagegen ist ein Zustand.

Wenn ich lange an einem Ort stehe, dann kann ich das etwas altmodische Verb „verweilen“ nehmen. Das bedeutet etwas wie „stehen“ oder „bleiben“. Ich kann an einem Ort verweilen. Das bedeutet, ich bleibe dort. Wenn ich noch mehr betonen will, dass ich länge an einer Stelle stehe, kann ich „stehen“ und „bleiben“ auch kombinieren: „Ich bleibe an der Bushaltestelle stehen.“ In dieser Konstruktion ist „bleiben“ aber immer das Verb und „stehen“ der Infinitiv. Wenn ich meine, dass ich nicht weiterkomme und deshalb in einer Lebenssituation stecken bleibe, kann ich auch sagen: „Ich trete auf dem Stand.“

Wenn ich eine Gruselgeschichte lese, werde ich öfter auf das Verb „verharren“ stoßen. Das bedeutet, in der Bewegung stehen bleiben. „Verharren“ gibt meist aber auch an, dass ich sehr angespannt bin. Denn wer schon jemals das Kinderspiel gespielt hat, bei dem eine Person sich abwendet und alle weiterlaufen müssen solange bis die Person sich wieder umdreht, weiß, wie sich ein Krampf beim „Verharren“ anfühlt.

Natürlich kann ich auch „anstehen“. Dieses Wort hat zwei Bedeutungen. Zuerst einmal der englische Lieblingssport: im Supermarkt in einer Schlange anstehen. Oder die Redewendung „bei etwas anstehen“ bedeutet auch, dass ich nicht weiterweiß: „Ich stehe bei dieser Aufgabe an.“

Wer jetzt aber vom Stillstand genug hat, der beginnt zu gehen. „Ich setze mich in Bewegung“ bedeutet, den ersten Schritt zu machen. Wenn ich mich noch im Haus bewege und ein Baby schläft, dann „schleiche“ ich. Schleichen meint eine Bewegung, bei der ich so gut wie keine Geräusche mache. Wenn ich besonders leise sein will, kann ich „auf Zehenspitzen schleichen“. Wenn ich auf jemanden wütend bin (zum Beispiel, weil er das Baby geweckt hat), dann kann ich sagen „Schleich dich!“, was eine nicht sehr höfliche Formulierung für „Geh weg!“ ist.

Das Gehen selbst nun kann ich auf viele verschiedene Arten machen: ich kann „fortgehen“. Dann bedeutet das, dass ich entweder das Land verlasse oder abends ausgehe (siehe Daheim-Beitrag). Auch kann ich mit jemandem mitgehen. „Ich gehe mit dir mit“, kann ich sagen, wenn ich jemanden begleiten möchte.

Ich gehe dann mit der Person mit und kann entweder „vorgehen“, wenn ich der erste bin, oder „nachgehen“, wenn die Person mich führt und wir nicht nebeneinander gehen können. Beides wird mit dem Dativ gebraucht: „Ich gehe dir vor“ kann ich sagen, klingt aber etwas kompliziert. Besser ist hier: „Ich gehe vor dir.“ Das sieht zwar gleich aus, ist es aber nicht. Denn im zweiten Beispiel gebrauche ich das Verb „gehen“ und die Präposition „vor“ mit dem Dativ. Im ersten Beispiel habe ich das trennbare Verb, das den Dativ verlangt. Verständlicher ist das zweite Beispiel. Auch „nachgehen“ funktioniert mit dem Dativ: „Ich gehe dir nach.“ Die Satzkonstruktion mit „gehen“ und der Präposition „nach“ gibt es auch hier, aber sie bedeutet etwas ganz leicht anderes. Wenn ich sage „Ich gehe dir nach“, bedeutet das, dass ich den Weg nicht kenne und deinen Schritten folge. Wenn ich sage „Ich gehe nach dir“, bedeutet das, dass ich dir den Vortritt lassen möchte. Eine Situation, in der so etwas passieren kann, ist, wenn ich jemandem die Türe öffne und „Nach dir“ in der Kurzform sage.

Sobald ich außer Haus bin, kann ich „bummeln“. „Bummeln“ heißt, dass ich mich langsam fortbewege und kein Ziel habe. Wir verwenden das Wort auch für „Einkaufsbummel“ um das ziellose Gehen anzugeben, wenn wir in der Stadt einkaufen gehen. Ich kann auch „spazieren gehen“ oder „spazieren“, dann gehe ich zum Beispiel in den Wald. Der Unterschied liegt darin, dass ich mir beim „Bummeln“ etwas ansehe. Beim „Spazierengehen“ genieße ich die frische Luft in der Natur. Einen „Stadtspaziergang“ kann ich machen; einen „Naturbummel“ nicht.

Wenn ich Sport mache, dann „laufe“ ich. In Deutschland sagt man „ich laufe in den Supermarkt“. Das heißt aber nicht, dass alle im Norden das Einkaufen als sportliche Herausforderung nehmen, sondern sie sagen das statt „gehen“. Wenn ich es wirklich eilig habe, kann ich wohin „rennen“. „Rennen“ ist noch viel intensiver als das Wort „laufen“ und „hetzen“ ist intensiver als „rennen“. „Ich hetze ins Büro“ bedeutet, dass ich es wirklich eilig habe. Zuletzt kann man noch das englische Wort „sprinten“ nehmen. „Ich sprinte in den Supermarkt“ bedeutet, dass dieser gleich schließen wird und ich mich beeilen muss.

Also, worauf warten wir? Los geht’s!


Eva Mühlbacher

Geschichte-Doktorandin und Jungautorin

Eva hat am Sprachenzentrum Italienisch gelernt und während eines Italienaufenthaltes angefangen, ein Buch zu schreiben. Ihre große Leidenschaft gilt - neben dem Schreiben - dem Mixen von Bahama Mama-Cocktails.

 

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Kleines Lexikon

 

stehen

stand, gestanden

ich bewege mich nicht weg

stellen

stellte, gestellt

ich bewege etwas anderes auf seinen Platz

verweilen

verweilte, verweilt (nicht trennbar!)

ich bleibe stehen (altmodisches Wort)

verharren

verharrte, verharrt (nicht trennbar!)

ich bleibe stehen (oft in Krimis zu lesen)

bleiben

blieb, geblieben

es bewegt sich nichts (auch: „Alles bleibt gleich.“, also ändert sich nichts)

anstehen

stand an, angestanden

zwei Bedeutungen: im Supermarkt oder ich weiß nicht weiter

gehen

ging, gegangen

ich bewege mich auf zwei Beinen

fortgehen

ging fort, fortgegangen

ich gehe feiern oder ich verreise lange

ausgehen

ging aus, ausgegangen

ich gehe feiern

mitgehen

ging mit, mitgegangen

ich gehe mit einer Person mit

vorgehen/nachgehen

ging vor, vorgegangen (gleich mit „nach“)

ich gehe vor/nach einer Person

schleichen

schlich, geschlichen

ich gehe leise

bummeln

bummelte, gebummelt.

ich gehe ziellos

spazieren gehen

ging spazieren, spazieren gegangen

ich gehe ohne Ziel; einen längeren Weg; besonders: in der Natur oder durch eine Stadt

laufen

lief, gelaufen

schnell gehen; Sport machen

rennen

rannte, gerannt

schneller als laufen

hetzen

hetzen, gehetzt

schneller als rennen

sprinten

sprintete, gesprintet

schneller als laufen; beim Sport hauptsächlich oder wenn ich wirklich sehr in Eile bin