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Von der deutschen Literatur zur Popkultur

Was die Welt von gestern mit dem Heute verbindet. Ein Interview mit der Jungautorin Eva Mühlbacher.

Goethe, Schiller, Kafka – wenn wir an deutschsprachige Literatur denken, sind es ziemlich sicher diese Namen, die sich seit dem Deutschunterricht in der Schule in unser Gedächtnis gebrannt haben. Denken wir gerne an diese Zeit zurück, als wir Reclam-Hefte lasen und uns Interpretationen aus den Fingern saugen mussten? Fanden wir es aufregend, Texte einer anderen Zeit zu lesen und in der Klasse darüber zu diskutieren? Natürlich hatte jede Lehrperson eine andere Art der Vermittlung, doch oft blieb der Unterricht leider auch als verstaubt und nicht zugänglich in Erinnerung. Können denn zeitlose Klassiker einen Bogen zur Gegenwart spannen und uns dort abholen, wo wir uns gerade befinden?

Eva Mühlbacher – die ihr vielleicht schon als Autorin von einigen unserer Blogbeiträge kennt – sagt Ja! und bietet uns mit ihrem neuen Buch Zeitreisende – Deutsche Literatur für Entdecker: Teil 1 – von der Romantik bis zum Ersten Weltkrieg genau diesen spielerischen Zugang – von wegen verstaubt! Im Interview mit uns erklärt sie, wie es zu diesem Literaturführer kam und worauf wir uns freuen dürfen.


Gleich zu Beginn eine banale Frage, die du auch in einem Vorwort beschreibst: Wieso hast du beschlossen, dieses Buch zu schreiben?

Schreiben hat mich schon immer interessiert und ich habe oft mit Menschen darüber diskutiert, warum ich Germanistik studiere. Ich wurde oft gefragt, wozu ich das brauche. Ich habe viele interessante Gespräche dazu geführt und dann beschlossen, ein Probekapitel zu schreiben – als Beweis sozusagen. Ich dachte mir, es muss doch möglich sein, Literatur so zu erklären, als ob wir bei einem Glas Wein säßen und wir darüber sprächen, welchen Einfluss z.B. Thomas Mann auf unser heutiges Leben hat. Und es war mir wichtig, dies in einfacher und humorvoller Weise und Sprache zu tun.



Die University of Cambridge, an der du dein Auslandssemester gemacht hast, hat dir das Close-Reading – also ganz nah an Textpassagen zu sein – nähergebracht. Welche*r Autor*in fasziniert dich?

Ich liebe Thomas Mann, in seine Art zu schreiben kann ich richtig reinkippen. Es ist wie Sushi – der eine liebt es, die andere hasst es. Ich mag auch die Sprache der Romantiker, es gibt so viel wunderschöne Spielerei mit der Sprache und es haben sich damit viele Ausdrücke für die spätere Psychoanalyse entwickelt, weil sie bestimmte Phänomene oder Gefühle wiedergibt.


Kannst du uns ein Beispiel für so ein Sprachspiel nennen?

Nehmen wir Ludwig Tieks Runenberg (Märchennovelle 1804, Anm. der Redaktion): Immer, wenn etwas gut ist, verwendet er Ausdrücke, die mit Pflanzen oder Wachstum zu tun haben – beispielsweise bei der Beschreibung seiner Zukünftigen verwendet er den Begriff blühend. Immer, wenn etwas negativ ist, wendet er sich von der Natur ab, dann ist etwas golden oder steinern, wie zum Beispiel Edelmetall. Wenn man sich von der Natur distanziert, passiert etwas Schreckliches – der Inhalt verbindet sich also mit der Gestaltung der Szenerie.


Du spannst in deinem Buch auch den Bogen zur heutigen Popkultur, zu Netflix-Serien und Büchern aus dem letzten Jahrzehnt, wie zum Beispiel Fifty Shades of Grey, Game of Thrones, Elite oder Shadowhunters.

50 Shades of Grey ist ein gutes Beispiel, ja. Es wird mit Venus im Pelz (Novelle, 1870 – Anm. der Redaktion) von Leopold von Sacher-Masoch, von dessen Name auch das Wort Masochismus abgeleitet ist, verglichen. Die Rollen sind jedoch vertauscht – die ältere Frau und der jüngere Mann, den sie als Sklave hält. Sie schließen einen Vertrag ab und er kauft ihr immer Pelze – der Pelz als Symbolik der Femme Fatale um die Jahrhundertwende. Sie gleiten in eine Luxuswelt ab und dann verändern sich die Charaktere plötzlich – und letztendlich ist es die Geschichte einer Erlösung in beiden Büchern. Im 21. Jahrhundert funktioniert sie für Mr. Grey. Interessant ist: in der Novelle Ende des 19. Jahrhunderts bleibt da dieser fahle Beigeschmack, dass Gefühle doppelte Böden haben – und genau das würde uns heute vermutlich eigentlich moderner vorkommen. Und bei Game of Thrones geht es in einer gewissen Szene auch um die Symbolik des Pelzes, natürlich auch weil es im Norden spielt (lacht), aber trotzdem findet man auch hier weitere Parallelen.

Die spanische Serie Elite habe ich mit Schnitzlers Reigen verglichen. Dort wird die bange Frage „Liebst du mich?“ gestellt, sie sind auf der Suche, aber letztendlich fühlen sie sich trotzdem einsam.

Shadow-Hunter erinnert an die Symbolik des Blutes in Hugo von Hofmannsthals Elektra, wo das Blut als Symbol für den Kreislauf des Lebens dargestellt wird.


Wie bist du auf die Verbindungen gekommen? Hast du aktiv danach in der heutigen Popkultur gesucht, oder war es umgekehrt?

Ich habe nicht aktiv danach gesucht; es ist mir aber immer wieder aufgefallen. Beim Anschauen von Serien bin ich dann immer darauf gestoßen. Meine kleinen Geschwister haben mir auch viele Szenen aus Shadowhunters gezeigt, muss ich sagen (lacht).  


Du hast uns auch eine Leseprobe1 zur Verfügung gestellt, nämlich im letzten Kapitel deines Buches, wo du über Stefan Zweig und sein Werk Die Welt von Gestern schreibst.

Genau, es repräsentiert besonders gut, dass es eine andere Art ist, Literaturgeschichte zu erzählen. Man trifft Stefan Zweig in seinem Haus und begibt sich mit ihm auf eine Zeitreise in sein Wien von 1900. Es ist sehr spielerisch aufgebaut.


Hast du Tipps, wie man in die Welt der Literatur eintauchen kann und wie das oft verstaubte Image – wenn wir an so manchen Deutschunterricht in der Schule zurückdenken – eliminiert werden kann?

Der Inhalt ist natürlich wichtig, aber es geht auch sehr oft darum, sich mit dem Buch zu beschäftigen und zu eruieren, wie eine Geschichte aufgebaut ist. Man sollte mit Büchern anfangen, die einen wirklich interessieren. Vielleicht auch, wenn man die Geschichten mit Orten verknüpft: Wenn man zum Beispiel im Goethe-Haus in Weimar war, kann man sich alles auch viel besser vorstellen und sich selbst einen Zugang dazu schaffen.

Es gibt auch tolle Comics, z.B. Goethe-Comics oder Mangas wie Frau Faust und Graphic Novels. Besonders schön finde ich auch den YouTube-Kanal Sommers Weltliteratur – dort wird der Inhalt in einfacher Form erzählt. Ich denke, beim Kennenlernen von Literatur ist jedes Mittel recht und mit meinem Buch wollte ich genau diese Brücke schlagen.


Du hast nun Teil 1 deines Buches veröffentlicht. Schreibst du schon an Teil 2?

Ja, ich habe schon mit den Vorbereitungen begonnen. Im Moment begleite ich Johann Wolfgang von Goethe nach Rom zu einer sehr schönen Mailänderin.


Klingt sehr spannend, wir freuen uns darauf! Vielen Dank für das Interview und diesen tollen Einblick!


Das Interview führte Melanie Steger im April 2021 für das Sprachenzentrum.


Eva Mühlbacher hat schon einige Sprachkurse bei uns besucht, hat den Master of Arts in Germanistik abgeschlossen und schreibt gerade an ihrer Dissertation im Fachbereich Geschichte des Mittelalters. Neben Der Momentesammler und Cesare hat sie nun Ihr drittes Buch Zeitreisende – Deutsche Literatur für Entdecker: Teil 1 – von der Romantik bis zum Ersten Weltkrieg veröffentlicht und bietet damit einen neuen Zugang zu deutschsprachiger Literatur.

Sobald es wieder möglich ist, wird Eva Mühlbacher auch Lesungen halten. Wenn ihr jetzt schon Lust auf mehr habt, könnt ihr in diesem Video noch mehr Einblicke in ihr Buch gewinnen.
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1 aus Kapitel 8.2 „Von der alten Welt"; Unterkapitel: „Die Welt von Gestern".